Pilotversuch Künstliche Intelligenz
Trotz der hohen Veränderunsquote der KI-Technik kann oder muss man von den folgenden Prämissen ausgehen:
- Die KI-Technik ist eine Universaltechnik. Das bedeutet, sie wird alle Arbeitsbereiche durchdringen, die mit einer Computerunterstützung zu tun haben. Diese Entwicklung ist irreversibel.
- Die KI-Technik wird heute, Stand 2025, nicht massenhaft Arbeitsplätze vernichten, trotz der im Wochentakt veröffentlichten Prognosen. Aber wer sich heute nicht mit der Technik befasst, wird in ein paar Jahren ernsthafte Probleme haben, wenn seine Arbeit mit dem Einsatz von Computern auch nur entfernt zu tun hat.
- Ein kluges Management stellt von Anfang an klar, dass KI-Systeme die Arbeit ergänzen und nicht ersetzen.
Die Motivlage
Die Künstliche Intelligenz bedeutet für alle Betroffenen, das Management, die Führungskräfte, die Betriebsräte und die Belegschaft, eine noch sehr neue Technik. Verlässliche Erfahrungen gibt es zurzeit nicht. Prognosen schwanken zwischen apokalypischen Berichten über massenhafte Arbeitsplatzvernichtung (siehe Folgen Arbeitswelt) bis zu euphorischen Zukunftsvisionen über eine andere Welt (siehe Coming Wave).
Der Weg, sich der Technik entgegenzustellen oder sie aufhalten zu wollen, verspricht wenig Erfolg. Um sowohl die Möglichkeiten als auch die tunlichst zu vermeidenden Abgründe kennezulernen, bietet sich als bessere Alternative ein gemeinsamer Lernprozess an, zum Beispiel in Form eines Pilotprojektes:
- Das Unternehmen stellt klar, dass die Erprobung der KI-Technik gewollt ist und vom Management unterstützt wird.
- Es wird klargestellt, dass nicht der Ersatz menschlicher Arbeit das Ziel ist, sondern die Verbesserung der Arbeitsqualität.
- Dazu werden die Chancen und Grenzen des Einsatzes von KI-Technik in einem ausgewählten Arbeitsbereich durch gemeinsame Erfahrung der dort Beschäftigten ausgelotet.
- Es werden Möglichkeiten erprobt, wie KI-Technik die Arbeit in dem ausgewählten Pilotbereich unterstützen, sowohl Routinearbeitsschritte vereinfachen als auch dispositive und kreative Arbeitsschritte bereichern kann.
- Erfolge und nicht erfüllte Erwartungen aus dem Pilotbereich werden im Unternehmen in geeigneter Form kommuniziert.
Als Ergebnis darf man erwarten, dass viele in der Öffentlichkeit verbreitete Auffassungen von bevorstehenden Entlastungen oder drohender Superintelligenz unbegründet sind. Das Unternehmen sollte durch begleitende Qualifizierungsangebote Unterstützung für einen selbstbewussten und sinnvollen Umgang mit der neuen Technik leisten.
Auswahl eines Pilotbereichs
Es sollte ein kleiner Arbeitsbereich ausgewählt werden, für den man beim Einsatz von KI-Technik sowohl einen wirtschaftlichen Vorteil als auch einen Beitrag zur Qualität der Arbeit erwarten kann.
Alle Mitarbeitende des ausgewählten Bereichs sollten an dem Pilotbetrieb teilnehmen, unabhängig davon, ob sie technik-affin oder eher gegenüber der KI-Technik skeptisch eingestellt sind. Dies hat eindeutig Vorteile vor handverlesen ausgewählten Teilnehmenden, sei es nach dem Windhundprinzip oder dem Nasenprinzip.
Es empfieht sich, nur nach Anwendungen zu suchen, die nicht das ganze Arbeitssystem auf den Kopf stellen, sondern Beiträge zu einzelnen definierbaren Arbeitsschritten leisten. Dazu eignet sich insbesondere die Integration von Chatbots in laufende Arbeitsprozesse. Das Investment soll überschaubar bleiben und auf keinen Fall irreversible Abhängigkeiten von den Softwareanbietern erzeugen (Überlegungen zur Chatbotauswahl zeigen).
Die hierzulande bekanntesten Chatbots wie ChatGPT von OpenAI, Gemini von Google, Claude von Anthropic sind Produkte der sog. Generativen Künstlichen Intelligenz (GenAI) und werden von US-amerikanischen Unternehmen angeboten. Microsoft, ebenso SAP, haben mit OpenAI vertraglich eine Integration von ChatGPT in ihre eigenen Produkte vereinbart, so vor allem Microsoft mit seinem Produkt CoPilot. Die Wahl eines Produkts aus dieser Aufzählung hat einige beachtenswerte Konsequenzen:
- Sie begründet eine hohe Abhängigkeit vom Anbieter und erfordert einige Maßnahmen, wenn man sich die Option offenhalten will, zu einem späteren Zeitpunkt auf ein anderes Produkt zu wechseln.
- Wegen des US-amerikanischen CLOUD-Act kann ein möglicher Zugriff US-amerikanischer Behörden nicht mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden, wie der französische Chefjustiziar vor kurzem unter Eid vor dem französischen Senat zugeben musste. Dabei geht es nicht nur um die Wahrung von Persönlichkeitsrechten, sondern um das Abgreifen von unternehmensinternem know how (von einigen warnenden Autoren auch als Industriespionage bezeichnet). Dies hat bereits eine breite Diskussion zum Thema digitale Souveränität ausgelöst.
- Die großen Chatbots stehen in wachsender Kritik wegen der trotz zunehmender Größe der Modelle sinkenden Qualität ihrer Ergebnisse (zunehmende Mainstream-Fokussierung und Kommerzialisierung, keine Lösung des Halluzinationsproblems).
- Kleinere Modelle zeigen bei bescheideneren und mehr auf konkrete Zwecke bezogenen Zielen immer besser werdende Ergebnisse. Es gibt inzwischen ein breites Spektrum an open source- und open weight-Produkten. Installationen sind sogar on premises, also vor Ort auf firmeneigenen Rechnern möglich. Diese Option kann ein Unternehmen für sich offen halten (siehe Eigenen Chatbot bauen).
Eine ausführliche Beschreibung zu einem Projekt auf der Basis von Microsoft Copilot mit vielen Anregungen vom Brainstorming vor Projektbeginn bis zum organisierten Erfahrungsaustausch während und nach dem Pilotprojekt finden Sie in dem Dokument Microsoft Copilot.
Projektorganisation und begleitende Aktivitäten
Man kann nach Absolvierung einer der beliebten Kick-off-Veranstaltungen die Leute einfach machen lassen, die Standard-Variante in allen Fällen, in denen das Management keine Zeit für vorheriges Nachdenken hat. Bedeutend mehr Erfolg verspricht es jedoch, die Startveranstaltung zu nutzen, um
- die Ziele des Projekts vorzustellen, nicht als Diktat, sondern als Vorschlag, worauf jede teilnehmende Person besonders achten sollte,
- den weiterenn Verlauf des Projektes mit zwischenzeitlich durchgeführtem Erfahrungsaustausch und abschließender Bewertung bekannt zu machen,
- die genutzten KI-Instrumente zu präsentieren mit Hinweisen, wo man erklärende Hilfen und Erläuterungen findet und
- klarzustellen, dass die Erfahrungen aus dem Projekt in die Erarbeitung eines Qualifizierungskonzepts für die Zukunft einfließen werden.
Dies muss nicht nach bürokratisch perfektioniertem Scrum-Verfahren ablaufen. Die Projektorganisation sollte so konzipiert sein, dass es nicht als zusätzliche Verpflichtung ankommt, sondern als willkommenes Innehalten, auf das man sich freuen kann.
Qualifizierungkonzepte
Qualifikationierungsmaterial kann man von der Stange kaufen. Auch online verfügbares Lernmaterial ist über jeden Zweifel erhaben nützlich. Aber nicht zu toppen sind gemeinsame Erfahrungen darüber, was man mit der Technik Sinnvolles anstellen kann und wo sie an die Wand läuft. Das geht am besten in Life-Veranstaltungen.
Die in ein Pilotprojekt eingebauten Erfahrungsaustausche eignen sich gut, um auf die konkrete Arbeitssituation bezogene Inhalte für Qualifizierungmaßnahmen herauszufinden. Das schließt natürlich nicht Angebote aus, sich mit den Grundlagen heutiger KI-Technik zu beschäftigen und mit dem Perspektiven, an denen die Top-Entwickler gerade arbeiten. Optimal ist es, wenn es gelingt, die Neugier der Betroffenen zu wecken. Dann braucht es allerdings auch Futter, um diese Neugier am Leben zu halten.
Konsequenzen für die Betriebsräte
Sich abducken, einen Bogen um die KI-Technik zu machen oder schlicht abzuwarten, was da noch kommt, ist gleichbedeutend damit, jedwede Option auf einen gestaltenden Einfluss aufzugeben.
Wenn die Vermutung von der Künstlichen Intelligenz als Universaltechnik zutrifft, werden alle Personen, deren Arbeit computerunterstützt abläuft, in wenigen Jahren ein ernsthaftes Problem mit ihrer Beschäftigung haben, wenn sie nicht über Kompetenz und Erfahrung mit den Instrumenten der neuen Technik verfügen.
Somit ergeben sich klare Schwerpunkte:
- Sich selber mit den Grundlagen der Technik vertraut machen, nicht im Detail, aber die Helikoptersicht auf die KI-Technik sollte es schon sein. Man muss Chancen und Risiken sehen und beurteilen können.
- Darauf drängen, dass das Unternehmen den Einstieg in die KI-Technik als gemeinsam erlebbaren Erfahrungsprozess organisiert und
- als unverzichtbaren Schwerpunkt für eine solide Qualifizierung aller Betroffenen sorgen.
Wenn man dies in eine Betriebsvereinbarung packen will, geht das nur als prozessbegleitende Regelung, über die es noch wenig Erfahrung gibt. Ein Stück Neuland wartet auf Sie.