Besonders betroffene Arbeitsfelder

McKinsey, arbeitgeberseitig beliebte Unternehmensberatung, prognostiziert für die USA, dass bis zum Jahr 2030 dreißig Prozent aller Arbeitsstunden komplett automatisiert werden. Amazon hat angekündigt, bis 2033 600.000 Arbeitsplätze durch Roboter zu ersetzen.

Insbesondere die Informatik-Branche prescht mit Spitzenankündigungen von Personalabbau vor. Doch Vorsicht ist geboten, die angekündigten US-Zahlen auf europäische oder deutsche Verhältnisse zu übertragen. Der KI zuschreibbare Produktivitätsgewinne setzen weitgehende Umgestaltungen der Arbeitsprozesse und deren Anpassung der Arbeitsabläufe voraus, die nur in wenigen Bereichen erfüllt sind. Oft geht es nur um Umsatzsteigerungen der US-Riesen, deren Strategien nicht übertragbar sind. Dennoch gibt es einzelne Branchen und Arbeitsbereiche, die besonders betroffen sind.

Die Informatik-Branche

Die Prunkstücke der Künstlichen Intelligenz, die Large Language Models, wurden durch ihr Training mit Milliarden bis Billionen Texten aufgebaut und haben diese Text-Vorliebe bis heute behalten. Deshalb eignen sich Texte immer noch hervorragender als alles andere für die Bearbeitung mit KI-Tools. Und somit ist vollends klar, worauf sich Anwendungen mit den höchsten Erfolgsaussichten stürzen können: auf alles, was mit Texten zu tun hat. Und dort gibt es einen hervorragenden Kandidaten, der ausschließlich mit Texten zu tun hat, nämlich Computerprogramme.

Jeder, der einmal Anwendungsprogramme geschrieben hat, weiß, dass der Code für die Lösung des jeweiligen Problems nur einen Bruchteil des Programmumfangs ausmacht und der überwältigende Rest auf Fehlerbehandlung, ästhetische Aufbereitung und Ähnliches draufgeht, alles außerdem mustergeprägte Dinge mit hoher Wiederholquote, also beste Kandidaten. So setzen große Teile der Programmtexte ihrer Automatisierung keine Schwierigkeiten entgegen: Die Revolution frisst also buchstäblich ihre Kinder.

Betroffen sind die „Computerknechte“, die meterweise Programmcode herunterschreiben müssen, jedenfalls soweit die zahlreichen Frameworks und ähnliche Tools der Vor-KI-Zeit ihnen nicht große Teile ihres Jobs abgenommen haben. Verschont bleiben die wenigen begnadeten Programmierer, die neue Konzepte entwickeln dürfen - vorerst noch, sagen die Automatisierungs-Enthusiasten, die sich auch gerne einmal dazu versteigen, zu prophezeien, dass der Beruf ganz ausstirbt.

Die von den BigTech-Firmen angekündigten Entlassungswellen treffen nun auch bisher gehypte Bereiche, wie aus der gerade erfolgten Erklärung von Meta hervorgeht, ausgerechnet bei der Superintelligenz ein paar hundert Beschäftigte zu entlassen. Prognosen für die allgemeine Lage sollten sich daher nicht an den aktuellen KI-Modetrends orientieren.

Die Medienbranche

Einen Journalismus ohne Künstliche Intelligenz werden wir nicht mehr erleben. In kaum einer Branche ist der wirtschaftliche Druck so groß wie in der Medienbranche. Rückläufige Print-Auflagen und sinkende Werbeumsätze kennzeinen schon seit langer Zeit die Szene. Der Konkurrenzdruck durch digital erzeugten Content kommt jetzt verschärfend hinzu.

Wie kaum eine andere Branche ist die Medienindustrie vom technischen Fortschritt gebeutelt: nach dem Ende des Bleisatzes das Internet und jetzt die Künstliche Intelligenz. Ein paar Stichpunkte und eine gut trainierte KI genügen, um z.B. Sportberichte aus der Kreisliga, den Wetterbericht oder die Zusammenfassung einer Stadtratssitzung in wenigen Minuten herzustellen. Ein 12-seitiger bebildeter Reiseprospekt für die Cinque Terre lässt sich vollautomatisch herstellen, inklusive der Hintergrundarbeit wie Erwerb der Rechte für die verwendeten Fotos. Man hält sich mit der Lebenslüge über Wasser, dass die letzte Entscheidung noch bei real existierenden Menschen liegt, obwohl für diese oft noch nicht einmal Zeit fürs Korrekturlesen bleibt. Faustregel: Für vier Vollzeitredakteure reicht ein Teilzeitlektor mit 20 Stunden Wochenarbeitszeit.

Man kann der Künstlichen Intelligenz auf keinen Fall die alleinige Schuld am aktuellen Niedergang der Branche geben. Die Zeiten vom Journalismus als „Vierter Gewalt“ sind längst der Verbreitung politikkonformer Narrative gewichen. Die KI-Entlastung von Routinearbeit hat nicht die Tür für investigativen Journalismus oder Ressourcen-Verbesserung für rechercheintensive Reportage geführt.

Die deutschen Top-Chefs der Branche, Thomas Rabe von Bertelsmann und Mathias Döpfner von Axel Springer, sehen ihr Heil neben dem runtergefahrenen traditionellen Journalismus zunehmend in Online-Marktplätzen und -portalen für Jobs, Immobilien, Autos, Datings, diversen Agenturen und ähnlichen Dienstleistungen, und nach dem Motto „mit den großen Hunden pinkeln gehen“ ganz allgemein in KI-gestützten Medien. Rabe musste sich Anfang 2023 bei der Auflösung der ehemaligen Journalismus-Ikone Gruner+Jahr die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Rabenvater und Totengräber“ gefallen lassen.

Call Center

Call Center oder Service Center, wie sie schön redend genannt werden, drängen sich förmlich als Einsatzgebiet auf. Die neuen Speech-to-Speech-Sprach-Assistenten können nach zusätzlichem Training mit unternehmensspezifischen Daten selbstständig Gespräche führen, „intelligente“ Antworten geben und natürlich dank Transkription alles protokollieren, verfügbar im Sieben-Tage-24-Stunden-Takt, keine Ausfälle durch Urlaub, Krankheit oder sonstige Unwägbarkeiten. Von tüchtigen Marketing-Abteilungen der Anbieter als maximale Entlastung der Call Center Agents verkauft. Man braucht nur noch ein kleines Back Office für die ganz schwierigen Fälle, bis mit Künstlicher Empathie aufgerüstete Systeme sich auch darum kümmern.

Ähnliche Effekte lassen sich für alle Unternehmensbereiche mit direktem Kontakt zur Kundschaft erzielen: Vertriebsabteilungen, Empfangsbereiche, Theaterkassen, Behörden, Kliniken und Arztpraktiken, Auskunftssysteme jeder erdenklichen Art. Im ersten Schritt ist der First Level solcher Einrichtungen betroffen, je umfangreicher, je mehr Abläufe sich automatisieren lassen.

Logistik

Die Ankündigung von Amazon, 600.000 Arbeitsplätze bis 2033 (Zwischenziel 160.000 bis 2027) durch Roboter zu ersetzen, ist schon aufsehenerregend. Die Szene ist ein El Dorado für den Einsatz von Agentic-KI-Systemen. Um den Arbeitsplatz-Kahlschlag in etwas freundlicherem Licht erscheinen zu lassen, hat man den Gerätschaften einen neuen Namen gegeben, Cobots sollen die kooperationsfähigen Roboter heißen.

Amazon hat beste Voraussetzungen für ein solch gigantisches Automatisierungsvorhaben, von der Architektur der Lagerhallen bis zu weit fortgeschrittener Standardisierung der Prozesse. Das ist weit davon entfernt, eine Blaupause für andere Unternehmen zu sein, und die Aufregung lässt sich ein gutes Stück herunterfahren.

Dennoch setzt das Vorhaben einen Trend. Die Grenzen der Automatisierbarkeit werden neu ausgelotet. Was unter Laborbedingungen bestens funktioniert, muss dies unter harten Bedingungen des realen Arbeitens noch lange nicht. Wie die Objekterkennung der Roboter mit Staub, wechselnden Lichtverhältnissen, reflektierenden Oberflächen klar kommt, wird noch auszuloten sein. Je weiter die Automatisierung fortschreitet, desto folgenreicher sind auch die Auswirkungen von Störungen. Schon kleine Software- oder Kommunikationsfehler können Kettenreaktionen auslösen und ganze Linien lahmlegen. Die fortgeschrittene Kooperation der Roboter sorgt dafür, dass Irritationen im Ablauf nicht lokal bleiben.

Die Aufgaben der verbleibenden Menschen ändern sich fundamental, und zwar vergleichsweise kurzfristig. Körperliche Tätigkeiten entfallen tendenziell komplett, entsprechende Erfahrungen und handwerkliches Geschick verlieren ihren Stellenwert. Andere Qualifikationsanforderungen treten in den Vordergrund. Es geht um die Supervision der Roboter-Zusammenarbeit, die Betreuung ihrer Infrastruktur und um Eingreifen bei Störungen. Systemverständnis, Prozessdiagnostik, noch zu findende Formen von Datenkompetenz wird verlangt, auf dem Arbeitsmarkt kaum zu haben, Kompetenzen müssen großen Teils erst aufgebaut werden.

Die Roboter sind so vollgestopft mit Software und Sensorik, dass sie direkt mit Menschen zusammenarbeiten können. Diese Kooperation erzeugt eine neue psychologische Dynamik, mit der sich das Münchener Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme (IKS) auseinandergesetzt hat. Supervisionstätigkeiten sind kein aktives Arbeiten, sondern Kontrolltätigkeiten mit einem anderen Erlebnishintergrund, der in hoch automatisierten Umgebungen häufiger zu kognitiver Überlastung und Sinnverlust führen kann, eine schon länger bekannte Begleiterscheinung, wenn Entscheidungsprozesse von Maschinen vorgegeben werden. „Es ist ein Echtzeit-Experiment darüber, wie weit Technik die menschliche Arbeit ersetzen kann, bevor sie an ihre eigenen Grenzen stößt“ schreibt. Tim Stockhausen vom VDI-Verlag in einem Beitrag auf ingenieur.de vom 22.10.2025.

Fazit


Dr. Karl Schmitz

Die Nachhaltigkeit der Effekte in den geschilderten Bereichen darf bezweifelt werden. Die Früchte von KI-erzeugter Software, LowCode oder NoCode sind noch nicht herangereift und geerntet. Deshalb weiß noch keiner, wie sauer oder genießbar sie sind.

Zu dem Untergang des traditionellen Jornalismus fällt mir nichts mehr ein, genauso wenig wie zur verpassten Chance KI im Kundenbereich.

Allen drei Feldern gemeinsam ist der vorherrschende Gedanke gemeinsam, Arbeit durch KI-Ergebnisse zu ersetzen statt in den Tools Instrumente zur Unterstützung zu sehen. Nicht die einzige Erklärung, aber ein ernstzunehmender Hinweis, wo der Hund begraben ist.

 

 

Karl Schmitz • Oktober 2025