Kurzfassung


Google-Chef
Sundar Pichai

Die Meinung, Google sei mit Gemini 3 der große Sprung gelungen, teilen wir nicht, auch wenn viele Fachjournalisten das irgendwo abgeschrieben haben. Es sind eher kleine Verbesserungen und große Versprechen.

Der Einbau in die Google-Suche hat allerdings gravierende Auswirkungen auf die Qualität der zukünftigen Internet-Nutzung. Fortschreitende Kommerzialisierung, Masse statt Klasse und Volksverdummung rücken in den Vordergrund.


Gemini 3 und Googles Internet-Suche

Googles Ankündigung vollmundig wie immer: bessere Antworten, professionelleres Coding, weltbeste Multimedialität und eine neue Agentenplattform, soll nicht wie ChatGPT mit personalisierter Plauderei glänzen sondern mit unterhaltungsbefreiter Leistung überzeugen, eingebunden in Googles komplette Produktpalette, vor allem die Suche. Auch mehr Möglichkeiten für Werbung und Umsatz wird den Firmen versprochen. Für das Fußvolk der Benutzenden gibt es allerdings nur eine gestaffelte „Wahrheitsfindung“ (mehr erklären).

Google betont, dass alle seine KI-Errungenschaften allen Benutzern, auch den Nichzahlenden, zur Verfügung stehen. Doch das ist eine Mogelpackung, denn abgerechnet wird mit KI-Guthabenpunkten, Limit gestaffelt nach den Abo-Preisklassen. Für nicht oder wenig Zahlende gibt es nur gestaffelte Wahrheitssuche. Dann muss man sich damit zufrieden geben, dass für eine fundierte Recherche nur noch Trailer, Abstracts oder sonstige verkürzte Zusammenfassungen durchsucht werden.

Abgrenzung zu OpenAI

Es hat sich rumgesprochen, dass die mit künstlicher Empathie angereicherten Programme, die durch sanfte Schmeichelein um die Gunst der Benutzerschaft buhlen, fehleranfälliger sind. Chatbots auf der Grundlage von Sprachmodellen mit warmen und einfühlsamen Persönlichkeiten, wie v.a. OpenAIs neueste ChatGPT-Version, nutzen immer mehr Menschen für Ratschläge, Therapien und allgemeine Lebensbegleitung. Doch solche Optimierung untergräbt die Zuverlässigkeit und verstärkt die geäußerten oder erahnten Überzeugungen ihrer Benutzerinnen und Benutzer. Jedenfalls zeigen „warme“ Modelle deutlich höhere Fehlerquoten, so eine Studie vom August 2025, in der fünf verschiedene Sprachmodelle untersucht wurden. Googles neues Gemini will sich von dieser Entwicklung deutlich abgrenzen und biedert sich nicht als Gefühl simulierender ganz persönlicher Freund und Helfer an. Soviel Lob gibt es allerdings nicht für den Einbau in Googles Internetsuche.

Die Google-Suche

Vom Gemini-Einbau in Googles gesamte Produktlinie soll ganz besonders die Internet-Suche profitieren. Ihr Ergebnis erscheint nicht mehr als Verzeichnis, sondern will Konversation sein, die das mühsame Scrollen und Klicken überflüssig macht.

Eric Schmidt, ehemaliger Chef von Google, hat schon vor 15 Jahren sinngemäß gesagt, wo es längs gehen soll:

When you use Google, do you get more than one answer? Of course you do. Well, that's a bug. We should be able to give you the right answer just once. We should know what you meant. We should get it exactly right. Wenn du Google benutzt, bekommst du dann mehr als eine Antwort? Natürlich tust du das. Nun, das ist ein Fehler. Wir sollten in der Lage sein, dir nur einmal die richtige Antwort zu geben. Wir sollten wissen, was du gemeint hast. Wir sollten es genau richtig machen. Originaltext zeigen

Vom Suchen zum Finden - in einem Interview mit dem Wall Street Journal 2020 hat Schmidt es noch deutlicher gesagt:
I actually think most people don't want Google to answer their questions. They want Google to tell them what they should be doing next. Ich glaube eigentlich, dass die meisten Menschen gar nicht wollen, dass Google ihre Fragen beantwortet. Sie wollen, dass Google ihnen sagt, was sie als Nächstes tun sollen. Originaltext zeigen

Das ist wirklich visionär, denn es war weit vor der fortgeschrittenen Big Data-Zeit, als die HighTech-Firmen noch nicht mehr über die Menschen wussten als sie über sich selber. Es liegt auf der Hand, dass viele Menschen mit der schnellen Antwort zufrieden sind. Das spart Zeit und Mühe.

Den Gemini-Einbau in die Suche bezeichnen Schreiber des selbsternannten Qualitätsjournalismus als Heldentat des „sich selbst Revolutionierens“ (Business Insider vom 24.11.2025). Dabei hat Google nichts anderes getan, als die Suchergebnisse den Benutzern nicht mehr als Liste von verlinkten Fundstellen zu liefern, sondern ihnen gleich per KI-Zusammenfassung (sog. AI Overviews) eine komplette Antwort zu präsentieren. Nur wer es wirklich gründlich wissen will, darf - nach Überspringen vorgeschlagener (oder besser vorgedachter) Anschlussfragen - weiter nach unten scrollen, um dann an erste Links für Quellen zu kommen. Die Versuchung ist allerdings groß, auf diese Anstrengung zu verzichten und sich mit der Zusammenfassung zufrieden zu geben. Natürlich wissen wir um die Risiken dieses Vertrauens, aber was tut man nicht alles der Bequemlichkeit zuliebe. Doch was macht das mit unserem Geist? Häufig nicht mehr genutzte Fähigkeiten werden bekanntlich zurückgebildet.

Verändertes Internet

Selbstverständlich hat Google nicht vergessen, weiter an seinem Geschäftsmodell zu arbeiten. Liz Reid, die Leiterin der Google-Suche, gab zwar schon im Oktober 2025 zu, dass die Änderungen der Suche zu einem Rückgang der Besucher-Klicks geführt habe, aber das störe nicht wirklich, denn die Zeit zwischen Beginn der Suche nach einem Produkt bis zum Klick auf den Kaufen-Button sei kürzer geworden.

Etwas wissen wollen, auf Wusch schnell oder gründlich, soll Platz machen für einen netten Text-Happen, den Googles Algorithmen aus den Fundstellen zusammengebastelt haben. Für die Autoren informativer Internet-Sites bedeutet das: Gründliche, durchdachte Informationen anzubieten lohnt sich immer weniger, denn wer soll sich dafür noch die Mühe machen, wenn man das Ergebnis solider Arbeit nur noch weit abgeschlagen unter ferner liefen findet. Für sie wird es schwieriger, Aufmerksamkeit zu finden und natürlich auch Geld zu verdienen. Die Folge ist eine überproportional wachsende Präsenz von Dingen, die man kaufen kann, seien es Produkte oder Dienstleistungen.

Wenn die Kommerzialisierung des Internets fortschreitet, setzt die Wahrscheinlichkeit, fundierte Informationen zu finden, ihren Sinkflug fort. Die Trainings-Algorithmen der Sprachmodelle leben von Wahrscheinlichkeiten, und so entsteht ein Perpetuum mobile für immer mehr business und immer weniger Information. Verstärkt wird dieser Trend noch durch die zunehmende Zahl von Objekten, die durch KI selbst erzeugt werden und nun Futter für die Suchmaschinen sind (Eine ausführlichere Erklärung der Hintergründe finden Sie in den Dokumenten Verlust der Unschuld und Selbstmord auf Raten).

Business first macht einen gehörigen Schritt nach vorne. Die Idee, das Wissen der Welt für jede interessierte Person zugänglich zu machen, gerät langsam aber sicher in die Nostalgiezone der Vergangenheit. Auffindbares Wissen wird weniger, der main stream der Info-Flut wird breiter, wirklich Neues seltener, die Kontrollierbarkeit der servierten Antworten schwieriger. Die allgemein verstärkte Oberflächlichkeit lässt befürchten, dass Menschen sich immer weniger zu sagen haben, empfänglicher werden für die Berieselung mit Werbung und vorlieb nehmen mit nicht mehr zu hinterfragenden Info-Happen (siehe auch das Dokument Mentale Folgen).

Die Konsequenzen

Man kann hoffen, dass das Imperium zurückschlägt. Der Erfolg der Internet-Werbung beruht zu wesentlichen Teilen auf Information als Substrat für Werbung. Wenn diese Information immer dünner wird, dann schwindet auch der Platz für erfolgreiche Werbung. Aus diesem Grund befürchten ernstzunehmende Marktbeobachter, dass Googles Anteil an der Internet-Werbung schon nächstes Jahr unter die kritische 50-Prozent-Marke sinken könnte. Wenn sich keine erfolgreichen Alternativen zu Googles Internet-Suche durchsetzen oder Google nicht zum Pfad alter Tugend zurückfindet, droht für die Zukunft des Internet:

  • Fortschreitende Kommerzialisierung,
  • Masse statt Klasse,
  • verkümmernde informative Inhalte und
  • wachsende Hoffähigkeit von Geplapper aus der Belanglosigkeitszone.

Nicht besonders rosige Aussichten.

 

Karl Schmitz • Dezember 2025