Der Zielvereinbarungs-Irrsinn - Ein Nachruf

 
Fisch Der Fisch stinkt vom Kopf
Norddeutsches Sprichwort

Prolog

Es ist still geworden um das Performance Management mit seinem Zielvereinbarungs-Irrsinn: Von Unternehmensberatungen gehypt, von Softwareanbietern dankend aufgegriffen, vom Top-Management verordnet und schnell an die unteren Führungsebenen weitergereicht. Viele Führungskräfte waren sauer wegen der lästigen Arbeit. Die Mitarbeitenden auch sauer wegen des verordneten Unsinns und seiner zahlreichen Nebenwirkungen: Angst und Schrecken, Zwanghaftigkeit, Willkür, Ratlosigkeit, Demotivation.

Das offizielle Programm

Das schon in den 1950er Jahren erfundene Konzept sollte ursprünglich ein reines Führungsinstrument sein, wurde aber im sog. Performance Management vor allem von den großen Konzernen um die Beurteilung der Mitarbeitenden erweitert und nicht selten auch mit der Bezahlung verknüpft. Gängige Verfahren belassen es dabei nicht bei der Mitarbeiterbeurteilung, sondern erweitern es noch um eine Potenzialbewertung. Die Mitarbeitenden finden sich dann wieder in einem Diagramm zwischen Low- and High-Performern und Low- and High-Potentials.

Das Konzept Die Kritik

Das Topmanagement setzt die Unternehmensziele. Sie werden kaskadiert und spezialisiert, die Unternehmenshierarchie runter bis zur kleinsten OrgEinheit, denTeams. Den Letzten beißen die Hunde: Teamführungskräfte sollen den Zaubermix zustande bringen zwischen den heruntergebrochenen Unternehmenszielen und den besonderen Fähigkeiten der Mitarbeitenden - letzters darf auch einmal vergessen werden.

Nach der reinen Lehre soll sich das Management auf die Definition der Ziele beschränken, die Wege zur Zielerreichung dem Unternehmensgeist (so vorhanden) der Ausführenden überlassen. Das soll die Motivalion fördern. Schlechtes Management verwechselt Ziele und Wege, hat damit Motiviertheit durch eine Befehls-Gehorsam-Kette ersetzt. Ganz schlecht für die Motivation.

Wenn es um ein spontanes und immer neues Koordinieren von Projekten, Aufgaben und Energien ist, dann ist gegen das Verfahren wenig einzuwenden. Aber:

Wenn es ein ritualisiertes, standardisiertes und erzwungenes Gespräch mit Beurteilungscharakter ist, dann ist das ökonomisch kontraproduktiv und moralphilosophisch fragwürdig. Es ist Teil jener Erniedrigungsbürokratie, die den Menschen immer aufs Neue vermittelt, was noch nicht stimmt, was noch zu verbessern wäre, warum andere großartiger sind und warum man aus dem Schülersein nie herauskommt. Wenn dann noch Ziele vorgegeben werden, dann ist das nach innen würdelos und nach außen kundenfeindlich...

Quelle: Reinhard K Sprenger über Mitarbeitergespräche

Sterbehilfe für ein verstörendes Konzept

Nun ein paar - nicht so oft gehörte - Argumente:

  • Ziele setzen geht oft von einem Zustand des Mangels aus: Etwas fehlt, ist schief gelaufen, muss verbessert werden. Zielsetzung ist immer eine Beschränkung von Möglichkeiten. Was rechts und links vom Ziel liegt, bleibt ausgeblendet.

    Einwand: Entscheidungen sind notwendig. Man muss oft zwischen Alternativen wählen. Ja, aber erst auf der unmittelbaren Arbeitsebene. Dort ergibt sich meist von selbst, was zu tun ist, aus dem Fluss der Arbeit heraus, situationsabhängig und nur begrenzt vorhersagbar.

  • Leben im Hamsterrad: Wenn die Ziele erreicht sind, entsteht oft das Gefühl eines Lochs, Leere nach dem kurzen Kick. Schnell muss ein neues Ziel her. Und das Hamsterrad dreht sich weiter. Oft gefühlt schneller, beklagt als fortschreitende Intensivierung der Arbeit.
  • Schaden für die Produktivität: Arbeit in einem Unternehmen ist nicht die Summe der Einzelarbeiten. Zielvereinbarung werden aber mit Einzelnen geschlosen. Gute Arbeit entsteht im Flow der Zusammenarbeit, aus den Interaktionen mit Anderen, aus Freude am Tun. Neugier brauch keine Ziele. Intuition lässt sich nicht gängeln.
  • Fremdbestimmung: In vielen gut gemeinten Regelungen heißt es zwar, Ziele sollen vereinbart, nicht gesetzt werden. In der Praxis sind die Ziele erzwungen, für die Mitarbeitenden nicht die eigenen Ziele. Sie haben nichts vom Zauber einer von innen kommenden Motiviertheit.
  • Im Spiel bleiben: Die Arbeit ist ein kontinuierlichen Prozess von Zusammenarbeit. Das Zielmanagement macht daraus ein Sammelsurium zerstückelten Energieflusses. Begeisterung will hier nicht aufkommen.

Das Management täte gut daran, sich mit der Schaffung von Rahmenbedingungen zu begnügen: Zusammenarbeit ermöglichen, wo sie nicht von selber erfolgt, eine offene Informations- und Kommunikationskultur etablieren.

Fazit: Keine Tränen beim Begräbnis eines Verfahrens, das viel Freude an der Arbeit durch Verdruss ersetzt hat.

Nachbetrachtung

Es gibt eine Vielzahl von Betriebsvereinbarungen zum Zielmanagement, von den Erfindern ursprünglich als Führungsinstrument vorgesehen, von den Unternehmen im Performance Management durch Beurteilungen ergänzt und mit Bezahlungen verknüpft, sogar als Erziehungsprogramm missbraucht. Betriebsräte haben das Verfahren nicht verhindern können, einige haben eine Art mentalen Partisanenkapf betrieben, um z.B. durch Komplizierung und Bürokratisierung zum schnelleren Untergang beizutragen. Die meisten Vereinbarungen sind nur Schadensbegrenzungen. Viel vergeudete Lebenszeit. Produktiv arbeiten geht anders.

Karl Schmitz April 2024