Digitalisierung und Hybrides Arbeiten sind komplexe Themen. Auf dieser Seite werden nur die Auswirkungen für die Führung eines Unternehmens behandelt.

Führen auf Distanz?

Um die Frage gleich vorneweg zu beantworten: Dauerhaftes Führen auf Distanz ist nicht möglich.

Es gibt nur extrem wenige Arbeitssituationen, in denen komplettes Arbeiten von außerhalb des Unternehmens dauerhaft möglch ist. Überwiegend wird es sich um Situationen des hybriden Arbeitens handeln, natürlich in vielen Variationen. Die Corona-Pandemie hat diesen Sachverhalt katapultartig befördert und Arbeitsformen gepusht, die mindestens seit einem Jahrzehnt möglich waren, aber von den herrschenden Firmenkulturen weitgehend ausgebremst wurden.

Die Führungskonzepte der Unternehmen haben nicht Schritt gehalten mit dem Tempo der (erzwungenen) Veränderungen. Zwei Dimensionen lassen sich unterscheiden:

Das individuelle Führungsverhalten

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat in einem Blog-Beitrag von Josephine Hofmann folgende Hauptprobleme festgestellt:

  • Verschlechterung der sozialen Beziehungen untereinander
  • Erhöhter zeitlicher Kommunikations- und Koordinierungsaufwand
  • Abnahme der Mitarbeiterbindung an das Unternehmen
  • Vermehrter Aufwand für neue Formen der Delegation und Leistungskontrolle

Im Vordergrund steht die Fähigkeit, über Distanz Führungspräsenz zu zeigen. Wenn unmittelbare Kontrolle nicht mehr wie bei der Dauerpräsenz der Beschäftigten möglich ist, verschiebt sich die Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen in Richtung Vertrauen. Dazu bedarf es

  • einer natürlichen Autorität der Führungskraft,
  • einer spürbaren Empathiefähigkeit,
  • von den Mitarbeitenden anerkannte fachliche Kompetenz v.a. auf der Ebene generalisierten Wissens,
  • erworbene Fähigkeit, mit den digitalen Medien angemessen umzugehen und die Mitarbeitenden dafür begeistern zu können, die digitalen Techniken sonnvoll anzuwenden.

Ein nicht unbedingt empfohlenes aber zum Nachdenken anregendes Beispiel für Führungsgrundsätze gibt es hier.

Immer noch ist die Hauptaufgabe von Führung, Zusammenarbeit zu ermöglichen, die von allein nicht geschieht. Das verlangt in höherem Maße als früher die Fähigkeit zur Delegation: Verantwortung verteilen, den Mitarbeitenden Entscheidungsräume zugestehen, Initiative begrüßen, Konkurrenz aus der Teamarbeit heraushalten, Anerkennung zeigen und für das ganze Team spürbar machen - und das alles möglichst unauffällig koordinieren, vergleichbar mit der Direktion eines Orchesters, in dem die Fähigkeiten seiner Künstler in Szene gesetzt werden und die bewunderte Leistung im Zusammenwirken der Beteiligten entsteht - Abschied von der Command & Control-Wirtschaft früherer Zeiten.

Rahmenbedingungen

Wenn ein Unternehmen keinen Orientierungsrahmen für sein Verständnis von Führung festlegt, folgt das Ergebnis den Gesetzen der freien Wildbahn. Dieser Orientierungsrahmen lässt sich in Spielregeln formulieren, die Letplanken definieren, innerhalb derer sich Führung bewegen soll.

Führungsleitbilder eignen sich hervorragend für den Druck auf Glanzpapier. Damit die Mitarbeitenden nicht erfahren müssen, dass ihr schönes Leitbild nur auf Papier steht, bedarf es einer Organisation, die für das Einhalten der Spielregeln sorgt.

Und zu guter Letzt braucht man eine Technik, die das hybride Arbeiten so unterstützt, dass die Betroffenen sie als echte Hilfe erleben und sich auch dafür begeistern können.

Spielregeln

  • Es mag glückliche Firmen geben, deren Führungskräfte ausnahmslos Naturtalente sind, die alles vorbildlich richtig machen. Dann bedarf es keiner Regeln. Ansonsten braucht das Unternehmen einen Orientierungsrahmen, in dem die Grundsätze festgelegt sind, die das gewünschte Führungsverhalten beschreiben.
  • Leitbilder sollen kein von oben diktierte oder in Hinterzimmern der Chefetage entwickelte Verordnung sein, sondern eine erlebbare und erfahrbare Realität für die Mitarbeitenden beschreiben - lieber bescheiden und minimal und dafür ehrlich. Klare Regeln müssen dafür sorgen, dass Psychopathen und Egoisten nicht in Führungspositionen gelangen.
  • Ein Unternehmen sollte Vorstellungen entwickeln, welche Formen des hybriden Arbeitens es für welche Arbeitssituationen für zweckmäßig hält und sie den Führungskräften und ihren Teams zur Verfügung stellen.

Organisation

  • Die besten Leitbilder sind nutzlos, wenn nicht für ihre Umsetzung gesorgt ist. Und das ist eine organisatorische Managementaufgabe. Sie beginnt mit den Auswahl- und Bewertungskriterien im Recruiting der Führungskräfte, umfasst die Supervision der Führungsaufgaben und sorgt für Transparenz der Informationen.
  • Schulungs- und Coaching-Angebote für Führungskräfte und für Mitarbeitende müssen genutzt werden. Insbesondere der Umgang mit den technischen Arbeitsmitteln darf nicht dem langen Leidensweg des learning by doing überantwortet werden.
  • Längerfristig muss das Unternehmen geordnet darüber nachdenken, wie die Wahrnehmung von Führungsaufgaben mit den anstehenden und zu erwartenden technischen Entwicklungen Schritt hält. Wenn dieser Prozess nicht dem Zufall überlassen bleiben soll, bedarf es dafür eines organisatorischen Fixpunktes im Unternehmen. Schon die von den Märkten geforderte schnellere Reaktionsfähigkeit der Unternehmen wird kürzere Entscheidungswege, also flachere Hierarchien verlangen.
  • In vielen Firmen ist die Skala der disziplinarischen Hierarchieebenen die einzige Karrieremöglichkeit. Abhilfe könnte z.B. ein Konzept Führung auf Zeit leisten, das auch wahlweise angeboten werden kann. Voraussetzung dafür ist aber, hinreichend Attraktivität für fachliche Aufgaben zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Abgabe einer Führungsaufgabe kein Karriere- oder Statusknick darstellt. Viele Praktiken der Vergangenheit gehören auf den Prüfstand.
  • Dringend muss man sich von den Performance-Management-Konzepten verabschieden, wie sie von SAP, Workday und anderen angeboten werden. Sie alle protegieren die Eins-zu-Eins-Relation zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden und sind wenig förderlich für Zusammenarbeit.
  • Ein Erfahrungsaustausch für laufende Bewertungen und Korrekturen an den Konzepten muss eingerichtet sein und beharrlich praktiziert werden.

Technik

  • Alle Arbeitsplätze für computerunterstützte Arbeit werden mit angemessener leistungsfähiger Hardware ausgestattet, sowohl das Home-Office als auch die Arbeitsplätze im Unternehmen und vor allem Räumlichkeiten für gemeinsame Arbeitstreffen.
  • Die Software-Ausstattung muss über die Verfügbarkeit der unmittelbaren Arbeitsmittel für transparente Informationsmöglichkeiten sorgen. Das Back Office sollte viele Informationsbedürfnisse auch ohne unmittelbaren kollegialen Kontakt erfüllen können.
  • Die räumlichen Ressourcen (genügend Arbeitsplätze für maximal gleichzeitig Anwesende, Meeting-Räume für hybride Teams, technisches Equipment auf dem aktuellen Stand) müssen zur Verfügung stehen.

Die Auflistung macht klar, dass es sich um ein Konzept handelt, das eine Menge Zeit braucht vor allem, wenn man der Tatsache Rechnung tragen muss, dass die meisten Firmen nicht neu auf der grünen Wiese aufgebaut werden, sondern mit oft langen Traditionen zu tun haben oder damit förmlich geschlagen sind. Gefordert ist auch ein grundsätzliches Umdenken im Umgang mit Unsicherheit. Irgendwie muss man damit anfangen, sonst droht einem Unternehmen einfach, dass es aus der Zeit fällt.

Karl Schmitz 20.2 2022