Enterprise Interaction Center - Wege zum Ende der Personalarbeit


Denglisch-Glossar

ACD Automatic Call Distribution: automatische Verteilung der einkommenden Telefongespräche durch die Telekommunikationsanlage
Agent Mitarbeiter in einem Call Center
Back Office Hintergrund-Bearbeitung, meist ohne Kundenkontakt
Call Telefonanruf
Call Center Einrichtung zur Beantwortung telefonischer Anfragen bzw. zur Abwicklung von Dienstleistungen per Telefon
Front Office Einrichtung mit Kundenkontakt
HCM SAP-Programmsystem für die Personalwirtschaft
Mail account Adresse für elektronische Post mit Verwaltung ein- und ausgehender Nachrichten
monitoren mit Hilfe eines elektronischen Überwachungssystems den aktuellen Zustand beobachten
Monitoring Beobachtung eines Systems zur Echtzeit
outsourcen auslagern
Reporting Systemteil zur Erstellung von Auswertungen (Berichten)
Ringing Time Zeit zwischen erstem Läuten eines Telefons und Annahme des Gesprächs
Service Center Einrichtung zur Abwicklung von Dienstleistungen
Service Level Agreement Vertragliche Regelung zur Abwicklung von Dienstleistungen
Shared Service Center Dienstleistungs-Einrichtung, die sich mehrere Betriebe teilen müssen
Single Point Of Contact Kontaktstelle einer Einrichtung nach zu ihrer Außenwelt
TKA Telekommunikationsanlage
Ticketing Programm zur Verwaltung und Bearbeitung elektronischer Formulare
trouble ticket Elektronisches Formular zur Aufnahme eines Problems oder Anliegens
User Help Desk Einrichtung, an die sich Benutzer um Hilfe wenden können
wording Sprachgebrauch
Zielmanagement System zum Abschluss von Zielvereinbarungen und Feststellung der Zielerfüllung

Warum das SAP-Szenario HCM (Human Capital Management) ein Ticket für den Untergang der Personalarbeit ist?

Man kann lange debattieren, was Firmen am Leben hält, was Arbeitsplätze rettet oder vernichtet. Die meisten Antworten der Unternehmens-Managements konzentrieren sich aufs Sparen durch Kosten senken und Verlagern an kostenmäßig günstigere Produktionsorte (um wenig später von dort auch wieder verjagt zu werden).

Was Unternehmen am Leben erhält, ist ihre Innovationsfähigkeit. Bei immer mehr Produkten und Dienstleistungen zählen Wissen und Ideen, die Fähigkeit, Informationen mit Erfahrung und Kreativität in neues Wissen zu verwandeln. Das vermögen keine gesenkten Kosten und keine verlagerten Produktionsorte. Immer mehr kommt es auf die Einzigartigkeit der Menschen an, denn der Aufwand für eine gute Idee ist eine Unikat-Leistung. Und die zu eliminieren, dafür ist das SAP-Szenario ein solider Werkzeugkasten.

Die Arbeitsbeziehungen werden in Kunden-Lieferanten-Beziehungen transformiert, mit Service Level Agreements und laufendem Monitoring. Kunden des Lieferanten Personalbereich sind

Vieles von dem lässt sich automatisieren, dies ist großen Teils bereits geschehen. Ein gut durchdachtes Auskunftssystem im Firmen-Intranet erspart den Personalern manche lästige Frage und zeit- oder nervenraubende Beantwortung. Klar aber auch: Es bedarf kluger Menschen, ein solches Auskunftssystem zu erstellen und auf aktuellem Niveau am Leben zu erhalten - typische Back Ofiice-Arbeit, allerdings für Leute mit Sensoren fürs reelle Leben, will man nicht Antworten produzieren für Fragen, die nicht gestellt werden.

Vieles ist individuell und braucht Intuition: vor allem alles, was sinnvollerweise zwischen Mitarbeitern und Führungskraft geschieht. Der Bereich Personal ist aufgefordert, sich endlich aufzustellen und sich zu positionieren, zu sagen, was seine "Dienstleistung" z.B. für die Führungskräfte ist.

Das SAP-Szenario, genauer seine derzeit zu beobachtende Handhabung, eliminiert den persönlichen Kontakt bis zur Vollständigkeit. Alles zwischen "Kunden" und "Lieferanten" soll über den SPOC laufen, den Single Point Of Contact: eine Telefonnummer und ein Mailaccount. Der persönliche Besuch ist nicht mehr vorgesehen, Störpotenzial sozusagen, das einer rationellen Abwicklung der Liferanten-Kunden-Beziehung im Wege steht.

Am SPOC sitzen die Front End agents eines Service Center-Betriebs, zu dem der Personalbereich umorganisiert wird. Sie nehmen die Calls an, die ihnen aus der Warteschlangenverwaltung der ACD-Anlage (Automatic Call Distribution) zugeteilt werden. Entweder können sie direkt antworten, oder sie betätigen sich als Dispatcher und leiten den Vorgang weiter ans Back Office. Aber einfach sofort antworten dürfen sie auch nicht. Das Service Level Agreement fordert seinen Tribut, denn die erbrachte Leistung muss dokumentiert werden. Also wird zuerst ein Ticket angelegt, wie man das von den trouble tickets des User Help Desk kennt, wenn der PC kaputt geht. Es wird penibel festgehalten, wer wann welches Problem mit welcher Lösung für wen beackert hat, wie lange das gedauert hat, wieviel Bearbeitungszeit darauf verwendet wurde usw. Nun hat man Stoff fürs Reporting. Zu den Ticket-Daten kommen noch die Infos aus der ACD-Anlage wie Wartezeiten, Telefonierzeiten, verlorene Anrufe, ja selbst die ringing time lässt sich reporten (Zeit, wie lange der Agent das Telefon "klingeln" ließ). Eine zusätzliche Verlockung für das eh schon quantitativlastige Zielmanagement. Verlockend auch, die Zeiten zwischen den Telefonaten mit Mail-Beantwortung zu füllen, die dann über die Warteschlangenverwaltung zugeteilt werden können - schließlich handelt es sich ja um digital vorliegendes Material.

Diese Art des Betriebes kennen alle Vielfachgeschädigten der Callcenterfreundlichkeit: Warten in der Warteschlange, jedes Mal ein anderer Gesprächspartner, und ob die Antwort auch kompetent ist, steht oft dahin. Denn man wird - wenn noch nicht geschehen - auch an der Qualifizierung der einfachen agents sparen. Gängige Praxis in vielen internationalen Konzernen: Am anderen Ende der Strippe ist ein schlecht deutsch sprechender Mitarbeiter aus einem Niedriglohnland, der das vertrackte deutsche Problem auch nicht so genau kennt ...

In dieser Methode kann man es bis zu weltmeisterlicher Effizienz treiben. Das Shared Service Center eines weltbekannten Chemiekonzerns zum Beispiel sitzt an der schottischen Grenze. Ein Werker, der über seine im Produktionsbereich aufgestellte und gerade mal nicht kaputte Kiosk-Station dort landet, muss Glück haben, am anderen Ende der Leitung überhaupt eine der deutschen Sprache mächtige Person zu erhaschen. Skill based routing hin oder her, gegen Personalknappheit vermögen auch die ausgeklügelsten Konzepte nichts. Folge: Keiner ruft mehr an. Noch mehr Geld gespart. Wenn nicht political correctness geboten wäre, würde man jetzt von der Balkanisierung der Verhältnisse reden.

Das waren nur die Symptome. Hinter den Kulissen hat sich vorher längst Entscheidenderes abgespielt. Das ansonsten vielfältige Interaktions-Geschehen zwischen dem Personalbereich und seinen "Kunden" ist in Prozesse einsortiert und entsprechend definiert worden. Consultants haben sich darüber her gemacht, diese Prozesse zu "harmonisieren", d.h. zu standardisieren und zu uniformieren. Und hier ist die Individualität dann endgültig zu Grabe getragen worden.

Management-Guru Reinhard Sprenger pflegt in seinen Vorträgen gerne ein viereckiges Kästchen an die Wand zu malen: Das ist der Mitarbeiter, wie ihn das Unternehmen gerne hat. Dann zeichnet er so eine Art Kartoffel in das Kästchen, jedenfalls ein Gebilde, das nicht ganz in die vier Ecken hinein passt, das etwas überlappt und dort die Kästchenraum nicht ausfüllt. Diese Flächen schraffiert er dann mit heftiger Armbewegung und kommentiert: Was da fehlt, dafür haben wir die Personalentwicklung. Was da überlappt, das wird weggecoacht. Am Ende sind sie alle gleich.

Wenn es keine Unterschiede mehr gibt: In der Physik nennt man das den Wärmetod. Dann ist das Leben zu Ende. Dann steht die Zeit still.

  Karl Schmitz, September 2006