E-Recruiting

E-Recruiting-Systeme, auch Online-Bewerber-Systeme genannt, sind in Mode gekommen. Die Herstellerfirmen versprechen schicke Webseiten für Bewerber, Unterstützung bei der Bewerberauswahl, die unkomplizierte Anbindung an die Online-Stellenmärkte des Internets und einfache Integration in die bestehenden Bewerbersysteme der Unternehmen (SAP und Konsorten). Was als modern und fortschrittlich beworben wird, ist für die Bewerber, typischerweise geht es um offene Azubis- oder Traineestellen, mit einigen unangenehmen Tücken verbunden. Im schlimmsten Fall werden sie mit vollautomatischen Bewerbungsabsage-Systemen konfrontiert.

Damit es nicht so weit kommt, analysieren wir nachfolgend die dringendsten Probleme des Einsatzes von E-Recruiting-Systemen für Betriebs- und Personalräte und geben erste Handlungsempfehlungen.

Nähern wir uns den E-Recruiting-Systemen von der Bewerberseite! - Die Bewerber kommen in den verschiedenen Phasen ihres Bewerbungsprozesses mit unterschiedlichen E-Recruiting-Komponenten des Unternehmens in Kontakt:

1.Orientierungsphase - 2.Online-Bewerbung - 3. Eignungstest - 4. Fazit

Mit Bertelsmann in den Sonnenaufgang:
Startbild zum Online-Bewerbersystem des Medienriesen

1. Unverbindlicher Online-Eignungstest (Self Assessment)

Die erste Komponente ist für die Bewerber freiwillig und - in der Regel - anonym, in dieser Phase befinden sich die Bewerber noch in der Orientierungsphase, sie haben sich also noch nicht entschieden, ob sie sich überhaupt beim Unternehmen bewerben möchten: Auf einer interaktiven Webseite werden dem Bewerber daher verschiedene Berufsfelder und Ausbildungsplätze des Unternehmens vorgestellt. Dabei werden typische Arbeitssituationen für verschiedene Ausbildungsplätze nachgebildet und die Bewerber zur Lösung der dargestellten Probleme aufgefordert. Im Personal-Jargon wird diese Form von Online-Tests "Self Assessment" genannt.

Die Unternehmen versprechen sich davon zum einen, dass Bewerber eine bessere Vorauswahl ihrer Arbeits- oder Ausbildungsplatzwünsche treffen. Zum anderen ist es auch ein Marketing-Instrument, mit dem das anbietende Unternehmen interessierte junge Menschen auf seine Bewerber-Internetseiten locken will. Die technische Umsetzung ist daher relativ aufwändig. Wer einen optischen Eindruck gewinnen will, sollte sich die Self-Assessments der Firma Cyquest auf den Internetseiten von Gruner+Jahr oder bei Bertelsmann ansehen.

So sehen wir die Dinge...

Von der Kartoffelknolle zur Massenware

Personalentwicklung, wie sie nach Sprenger in viel zu vielen Unternehmen praktiziert wird. Kreativität und Potenzial der Mitarbeiter geht durch Konformitätsdruck verloren.

1. Das ist ein Bewerber nach Vorstellungen des Unternehmens: Quadratisch. Praktisch. Gut.
2. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die meisten Bewerber haben eher das Profil einer Kartoffel.
3. Passt nicht! Aber wir haben die Rechnung ohne die Personal- entwicklung gemacht. - Was nicht passt, wird passend gemacht!

4. Zunächst werden die Beschäftigten "entwickelt": Alles was orange ist, muss dazu qualifiziert werden!
5. Auch der rote Bereich ist kein Problem. Erfahrene Personaler coachen diesen Bereich in kurzer Zeit weg!
6. Voila - fertig ist die eckige Unternehmens-Kartoffel!

2. Online-Bewerbung

Hat sich ein Interessent entschieden, sich beim Unternehmen zu bewerben, so soll der Bewerber seine Daten und seine Bewerbungsunterlagen über ein vom E-Recruiting-System bereit gestelltes Online-Formular möglichst selbst eingeben. Dabei werden dann nicht nur Kontaktdaten zur Person, sondern zum Beispiel auch Zeugnisnoten online eingegeben. Eingescannte Nachweise können von den Bewerbern gegebenenfalls als elektronische Anlage auf den Server geladen werden.

Das Webfrontend kann in fremde Webseiten integriert werden: Wenn das Unternehmen z.B. auf Online-Stellenmärkten um Auszubildene wirbt, dann kann eine Bewerbung auch direkt auf der Webseite des Online-Stellenmarktes vorgenommen werden. Die Speicherung der Bewerber-Daten wird dabei hoffentlich auf einem unternehmenseigenen Server vorgenommen - keine Selbstverständlichkeit, wie wir weiter unten noch sehen werden. In der Regel unterstützen die E-Recruiting-Systeme dabei die Anbindung an vorhandene Bewerbersysteme. Dann werden mit dem Online-Bewerbungstool zwar die Bewerberdaten erfasst, die Verwaltung kann aber mit dem gewohnten System erfolgen.

Die Unternehmen verbinden mit der Einführung von Online-Bewerbungen zunächst die Hoffnung auf finanzielle Vorteile: Eingaben werden von den Bewerbern selbst statt von Beschäftigten der Personalabteilung vorgenommen. Die Kommunikation mit den Online-Bewerbern per eMail verursacht keine Porto-Kosten. Außerdem kann für Auswertungen auf strukturierte Bewerberdaten zugegriffen werden. Wichtige Bewerberdaten können als Muss-Feld markiert werden und der Bewerber auf die Eingabe fehlende Daten direkt hingewiesen werden. Weitere Erleichterungen sind denkbar: So könnten Anlagen automatisch gebündelt und ins PDF-Format übertragen werden, so dass eine Zugriff auf die Bewerberdaten durch berechtigte Personalsachbearbeiter in technischer Hinsicht vereinfacht wird.

So sehen wir die Dinge...

3. Verbindlicher Online-Eignungstest

Ein Bewerber, der das Interesse des Unternehmens geweckt hat, bzw. die Hürden des Online-Bewerbersystems überwunden hat, erhält - systemunterstützt - eine Einladung zu einem Online-Eignungstest. Der Online-Eignungstest ersetzt in der Regel etwaig bestehenden schriftlichen Eignungstests. Bewerber ohne Internetzugang müssen Internet-Cafes aufsuchen, um an den Tests teilnehmen zu können.

Der Online-Test orientiert sich in der technischen Umsetzung an den oben angeführten Beispielen für die Self-Assessments. Nur dass die Bewerber nun nicht mehr anonym agieren und die Testergebnisse gespeichert und dem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um die Daten auf umfassende Weise auszuwerten. Testergebnisse können von den zuständigen Personalentwicklern visualisiert und mit den Testergebnissen anderer Bewerber in Beziehung gesetzt werden. Möglich ist in der Regel auch, eine maschinelle Entscheidung darüber zu treffen, ob der Online-Test durch einen Teilnehmer „bestanden“ wurde oder nicht.

So sehen wir die Dinge...

Zentrale Frage: Bleiben alternative Möglichkeiten zur Teilnahme an schriftlichen Eignungstest bestehen, oder soll die Teilnahme am Onlinetest für alle Bewerber zwingend sein? Im letzten Fall spricht vieles für eine Ablehnung der Systemeinführung aus den nachfolgend skizzierten Gründen, aber auch sonst sollten sich alle Seiten über die neu auftauchenden Probleme im Klaren sein:

  • Chancengleichheit der Bewerber
    Sozial benachteiligte Bewerber haben weniger Erfahrung und Routine im Umgang mit Internet-Techniken. Selbst wenn einem Bewerber ein Computer mit Internet-Zugang zur Verfügung stehen sollte, ist dies keine Gewähr dafür, dass er die Fähigkeit besitzt, plötzlich auftauchende Probleme bei der Darstellung oder beim Verbindungsaufbau zu bewältigen. Dies gilt umso mehr, als so manche Anwendung immer noch instabil läuft. Bewerber ohne Computer-Fachwissen werden dadurch erheblich benachteiligt. Zudem ist zu bezweifeln. dass jeder Testteilnehmer am Computer eine konzentrationsfördernde, dem Test angemessene Situation bei sich zu Hause am Rechner schaffen kann und dass das Umfeld der Bewerber die Testsituation akzeptiert.

  • Manipulierbarkeit der Testergebnisse, Schummeln
    Es liegt in der Natur der Sache, dass während des Tests nicht festgestellt werden kann, ob der Probant alleine oder in der Gruppe die Aufgaben bearbeitet oder den Test von einem Freund beantworten lässt. Solche Schummler sollen zwar durch Gegentests bei einem persönlichen Kennenlernen aufgedeckt werden, bei hohen Bewerberzahlen führen aber schon geringer "Schummelquoten" zu hohen Verzerrungen. Etwas Statistik: Bei 25.000 Bewerbern pro Jahr werden bei einer Schummelquote von 3% etwa 750 schummelnde Bewerber eingeladen. Sollen insgesamt nur 2000 Bewerber eingeladen werden, so belegen die "Schummler" 37,5% der für ehrliche Bewerber vorgesehenen Plätze. Wer nicht schummelt, ist selber schuld.

  • Verlagerung des technischen Risikos auf die Bewerber
    Das Risiko eines Systemausfalls wird in der Regel dem Bewerber aufgebürdet. Ergebnisse werden dann mit Null Punkten bewertet ohne Möglichkeit einer Aufgaben-Wiederholung. Oft ist auch ein Vor- und Zurückblättern zwischen Teilaufgaben ist möglich. Die Tücken liegen im Detail.

  • Falsches Persönlichkeitsbild
    Grundsätzlich steht die Frage im Raum, ob die Test-Ergebnisse tatsächlich ein zutreffendes Bild über die Persönlichkeit der jeweils betreffenden Person widerspiegeln. Zahlen gaukeln nur allzu leicht eine Scheinobjektivität vor. Selbst wenn die Technik eines Tages ausgereift sein sollte, wäre zu fordern, dass die Fragebögen eine Komponente enthalten, die dem Bewerber eine Chance gibt, seine individuellen Stärken und Interessen zu präsentieren.

4. Fazit

Der Regelungsbedarf von E-Recruiting-Systemen wächst und fällt mit den geplanten Rahmenbedingungen ihres Einsatzes: Stellen die neuen Tools Angebote für Bewerber dar oder ersetzen sie alte, erprobteVerfahren? Funktioniert die Technik überhaupt? Ist die Bedienung der Online-Systeme für den Bewerber zumutbar? Nehmen die Systeme durch Vorauswahl den eigentlichen Entscheidern in den Personalabteilungen die Entscheidung ab, ob Kandidaten zur nächsten Bewerberrunde eingeladen werden oder nicht? Ist die Chancengleichheit gewährt? Beim Einsatz der Systeme für interne Bewerbungen entstehen weitere Probleme, vor allem wenn die Daten außerhalb der Unternehmensserver vorgehalten werden. Und so fort...

Über allem schwebt die Befürchtung, dass durch die Elektronisierung des Bewerberverfahrens auch eine verstärkte Uniformität einhergeht und dass Bewerber, die nicht den von den Personalabteilungen vorgedachten Kategorien und Anforderungen entsprechen, keine Chance mehr haben.

Arbeitnehmervertreter können und sollten diesen Fehlentwicklungen mit einer Vereinbarung entgegen treten.

Dirk Hammann, tse GmbH