Vorratsdatenspeicherung: Ein ganzes Volk unter Generalverdacht

Nun ist es so weit, der Bundestag hat am 9. Novemer 2007 das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG mit 366 Stmmen der Koalition(bei 524 anwesenden Abgeordneten) beschlossen (hier der Wortlaut der entspr. Budestagsdrucksache, Bericht über die Bundestagsdebatte).

UPDATE:

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsspeicherung im März 2008 teilweise gestoppt und im März 2010 endgültig gekippt.

Die Fakten

Anbieter von Telekommunikationsdiensten (Telefonie, Internet-Zugang, E-Mail, SMS usw.) sind nach dem neuen Gesetz verpflichtet, alle im Internet, am Handy oder Telefon sowie bei der E-Mail anfallenden Verbindungsdaten für die Dauer von einem halben Jahr zu speichern. Aufgezeichnet werden Rufnummern bzw. Mail-Adressen oder IP-Adressen sowie Datum und Uhrzeit der Verbindung, bei der Telefonie auch noch die Dauer, beim Handy zusätzlich noch die Funkzelle und die Ausrichtung der Antenne, in die sie hauptsächlich ausstrahlt.

Die Inhalte der Telefongespräche sowie E-Mails können für Anwälte, Ärzte und Journalisten auf richterlichen Beschluss "nach Abwärung der Verhältnismäßigkeit" abgehört werden; ausgenommen bleiben lediglich Strafverteidiger, Geistliche und natürlich die Abgeordneten selber.

Ermittler brauchen einen richterlichen Beschluss, Nachrichtendienste dürfen auch ohne.

Los gehen soll es mit der Speicherungspflicht für Telefonie, Mail usw. ab 1. Januar 2008, für Internet-Zugang ab Anfang 2009.

Die Folgen

Mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs in den Überwachungsstaat, da hilft die Beteuerung von Frau Zypries, dem sei nicht so, recht wenig ("Wir sind hier nicht auf dem Weg in den Überwachungsstaat." Es würden nur die Daten gespeichert, "die ohnehin generiert werden"). Schwierig ist vor allem, dass bei Mail und SMS Verbindungsdaten nicht klar von Inhaltsdaten getrennt werden, da die Betreffzeilen mit protokolliert werden. So stellt sich die Frage, was alte Grundrechte (wie das Briefgeheimnis) noch wert sind.

Die Diensteanbieter rechnen für die Anschaffung der erforderlichen Hard- und Software und die Umrüstung ihrer Rechenzentrum mit Kosten von rund 400 Mio Euro. Dazu sollen jährlich zweistellige Millionensummen für den Betrieb der Datensilos kommen. Die Branche kündigt schonmal vorsorglich Preiserhöhungen an.

Kritiker heben besonders die geringe Hemmschwelle hervor, um an eine Genehmigung für die Überwachung zu kommen. Es wird befürchtet, dass ein Straftatverdacht auf Verletzung von Urheberrechten, etwa illegales Downloaden eines Musiktitels oder der Verdacht auf eine am Telefon ausgesprochene Beleidigung schon ausreichen könnte. Der einst (volkszählungsurteil 1983) vom Bundesverfassungsgericht fürden Umgang mit personenbezogenen Daten aufgestellte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde schwer überzogen. Auf Vorrat werden die Daten aller Bürger gespeichert - ein ganzes Volk unter Generalverdacht.

Für die Betriebsräte bedeutet das zunächst nichts, denn Firmen sind keine Provider, da sie Mailnutzung und Internet-Zugang als Arbeitsmittel und nicht als persönliche Dienstleistung anbieten. Viele Firmen verbieten die private Nutzung oder haben Regelungen, denen zu Folge eine persönliche Nutzung nicht als Missbrauch gewertet wird, wenn sie geringfügigen Umfangs ist (vgl. entsprechende Betriebsvereinbarungen)

Schadenfreude

Alles das haben wir angeblich der Terroristenabwehr zu verdanken. Die schreiben sicher auch E-Mails und Telefonieren mit dem Handy. Wir wünschen den Ermittlern viel Glück dabei, wenn sie sich über die Festplatten der Provider hermachen. Die Datenberge bei nur einem mittelgroßen Diensteanbieter messen sich in mehr als zehn Terabyte. Zur Verdeutlichung: Ein Terabyte entspricht etwa 300 Millionen Textseiten, oder wer es lieber in Aktenordner-Maßeinheiten wissen will, eine halbe Million davon. Das alles bitte mal ganz schnell bei Gefahr im Verzug durchsehen. Viel Erfolg dabei - und findet dann schön den entscheidenden Hinweis auf die Attentäter, die ja - wie man bei der Polizei weiß - unverschlüsselt miteinander kommunizieren!

Wer professionell kriminelle Absichten verfolgt, wird seinen Datenverkehr verschlüsseln und kann auch seine Verbindungsdaten leicht tarnen, etwa durch Anonymisierung seiner Mailadresse durch Inanspruchnahme ausländischer Dienstleister. Die Strafverfolger dürften erhebliche Probleme haben, wenn sie auf Verdacht Telefonzellen, Internet-Cafes und öffentliche Zugangspunkte (Hotspots) überwachen wollen.

Ausblick

Ein Projekt der Behörden von Venedig sieht vor, fast unsichtbare Cameras (Occhio die Argos - auf Deutsch Argusauge) längs der Wasserstraße des Canale Grande anzubringen, um Motorbot-Raser automatisch an die nächste Wasserpolizeistreife zu melden. Sicherlich eine Anregung für Herrn Schäuble und andere Berufene, wie man die Maut-Messgeräte auf unseren Autobahnen ausbauen könnte.

 

Karl Schmitz, Oktober 2007

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