Rückblick aus der Zukunft

Ian McEwans Buch Was wir wissen können


Ian McEwan

Dies wird keine Buchrezension. Den Lesern des hervorragend geschriebenen Romans soll keine Spannung gestohlen werden. Nur soviel: Aus der Perspektive von einem Jahrhundert später wird auf die heutige Zeit geschaut. Die Rahmengeschichte: Ein Literatenpaar will herausfinden, warum ein berühmtes Gedicht verschwunden ist.

Zeitreise

Wir sind im Jahr 2120 ff. Die Welt ist eine andere als wir sie kennen: Großbritannien ist nur noch ein Haufen kleiner Inseln, nur mit Fähren untereinander verbunden, es gibt kaum noch Metall, E-Bikes nur mit Hartholzrahmen, ein spärliches Internet, künstliches Proteinbrot - die Welt nach dem misslungenen „begrenzten Nuklearschlag“ und der danach folgenden großen Flutkatastrophe im Jahr 2042. Die übrig gebliebene halbierte Menschheit ist damit beschäftigt, langsam ein Stück früherer Lebensumstände zurückzugewinnen. Und besagtes Ehepaar forscht nach den Spuren eines verschwundenen Sonetts aus einer Zeit vor über hundert Jahren.

Beeindruckend ist die literarische Form. Während der Recherche der beiden Literaten wird unaufgeregt sachlich hin und wieder erwähnt, wie es zu der Katastrophe kam: Die zunehmende Zahl der Waffen, die Kriegshetze der Politiker, die Pandemiefolgen, der Niedergang der Universitäten, der Zerfall der wissenschaftlichen Kultur, die Klimakatastrophen und die vorhergesehene aber nicht verhinderte Disruption: „... sie taten wenig dagegen, auch nicht als sie wussten, was auf sie zukam und nötig wäre(S. 95). Der Blick auf unsere heutigen Verhältnisse ruft die Erinnerung an Shakespeares Hamlet wach: „Something is rotten in the state of Denmark“, doch wir sind nicht nur in Dänemark.

Es ist etwas faul im Staate Dänemark

Zurück in die Gegenwart

Der zweite Teil des Romans versetzt den Leser zurück in die aktuelle Gegenwart. Das Buch konfrontiert die Forschungsergebnisse des Literatenpaares mit dem tatsächlichen Geschehen. Und nochmal ist vieles anders, mehr wird hier nicht verraten. Der Buchtitel was wir wissen können lässt uns zurück mit der Frage, wie weit wir unserer Wahrnehmung trauen können - oder sollten.

Karl Schmitz • November 2025