Krisenrezepte in der Globalisierung

Wege aus der Krise?

Professor Horst Siebert, Nachfolger des renomierten Herbert Giersch als Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, und noch nicht so berühmt wie sein Vorgänger, hält es mit Rezepten, nachzulesen im Wahlspecial Reformagenda 2002 des Handelsblatts vom 31.8.1998, S. 28, unter der Überschrift Ohne Angebotspolitik geht nichts:

Mal eben so. Verpackt in Angebotspolitik, der einzigen Möglichkeit für ein Land, das seine Stellung im Wettbewerb der internationalen Arbeitsteilung verdankt. Das Begleitwerk zur geforderten Reform:

Besonderes Augenmerk erhalten die Klein- und Mittelunternehmen, die überwiegend von Unternehmerpersönlichkeiten geführt werden (Stimmt das, Herr Professor?). Deshalb muß die Steuerreform sich auch auf sie konzentrieren, denn ihre Motivation werde stark vom persönlichen Einkommen beeinflußt. Dazu ein paar interessante Zahlen:

Zahl der Aktiengesellschften in Deutschland 1.300
Zahl der GmbHs 240.000
Zahl der Selbständigen und Gewerbetreibenden 1.600.000
Etwa 90 Prozent der Arbeitsplätze befinden sich in den besagten Klein- und Mittelunternehmen (mit unter 2000 Beschäftigten). Die Zahlen sind leider von 1992; der Trend dürfte sich seitdem aber noch verstärkt haben.

Jedenfalls sollen die zwei Millionen "Unternehmer" in Deutschland veranlaßt werden, Arbeitskräfte wieder verstärkt nachzufragen. Dazu soll sich die Lohnpolitik mit einem Abschlag vom Produktivitätszuwachs begnügen, jedenfalls so lange, bis wieder Vollbeschäftigung erreicht ist. Ansonsten kann bleiben was ist, v.a. das Sozialversicherungssystem, das lediglich die kleineren Risiken stärker auf die Versicherten umwälzen, nach wie vor aber die "großen Risiken" tragen soll.

 

Radikalere Töne

Eine der einschneidendsten Folgen der Globalisierung ist die Beschränkung des staatlichen Handlungsrahmens. Härter geht MIT-Professor Rüdiger Dornbusch mit der Politik ins Gericht (ebenso Handelsblatt vom 31.8.1998, S. 29, Titel: Das Boot wieder flott machen). Jede Regierung, sagt er, ist der schlimmste Feind des wirtschaftlichen Fortschritts:

Wo er Recht hat, da hat er Recht. Und so überrascht auch seine Schlußfolgerung nicht mehr: In Amerika hat der Aufschwung nur funktioniert, weil der Staat sich aus allen heraushält. Der Fehler der deutschen Politik sei, daß sie mit staatlichen Mittel die Unternehmen der Zukunft erschaffen wolle, die rund um eine "Wissensgesellschaft" herum entstehen sollen, staatlich gelenkt und gefördert - und reglementiert.

Der amerikanisch gewordene deutsche Professor wundert sich, daß in Deutschland Unternehmen und Öffentlichkeit zu keinem Zeitpunkt gegen die Einflußnahme durch die Politik protestiert haben:

Das ganze System sei falsch, "wie eingewachsene Zehennägel", alle Leute, die dafür bezahlt werden, "daß sie nichts tun oder - schlimmer noch - die andere am Vorwärtskommen hindern, müssen aus dem Weg gedrängt werden".

Des Professors Vorschlag einer alternativen Strategie in Kürze:

In den USA hätten rigorose Steuersenkungen zusammen mit Deregulierungsmaßnahmen zu Vollbeschäftigung, einem ausgeglichenen Staatshaushalt und einer einmalig niedrigen Inflationsrate geführt. In Deutschland, so Professor Dornbusch, käme dies nicht anders, hätte man nur den Mut...

Hiebe nach allen Seiten: "Schwachköpfige Sozialisten", die alles dem Staat übertragen wollen, erhalten ein klares Nein, ebenso wie die, "die an ihren Monopolen oder einer großen staatlichen Bürokratie festhalten wollen". Nicht kleckern, sondern klotzen: "Kleine Schritte ... sind uninteressant und werden nur von denjenigen in Grund und Boden diskutiert, die ihre kleinlichen Sonderinteressen bedroht sehen". Der Wohlfahrtsstaat war ein Versprechen, das nicht gehalten werden konnte:

Schade, der Strom kommt also doch nicht aus der Steckdose.. Ein Wachstumswunder stehe jedenfalls nicht vor der Tür, gewöhnliche Maßnahmen werden die Arbeitslosigkeit nicht senken oder die steigenden Ausgaben des bankrotten Wohlfahrtsstaates decken, nichts wird den Wettbewerb aus Asien oder anderen Regionen eindämmen, so des Professors Prognose. Europa durfte sich lange auf seinen Privilegien ausruhen, und deshalb erfolgte der Abstieg auch ziemlich langsam und ist immer noch nicht überall zu spüren. Aber das Weiter so! verheißt nicht den Hauch einer Chance. Warum also warten, bis eine gute Wahl nicht mehr möglich ist, warum so vielen Menschen die Chance für ein sinnvolles, ein produktives Leben verwehren - fragt der Professor. Und wieder: wo er Recht hat, da hat er Recht. Oder?