Flexibilität

Zusammenfassung von Kapitel 3 des Buchs

Richard Sennett:

Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus

Berlin 1998

Flexibilität wurde im 15. Jahrhundert Teil des englischen Wortschatzes; die Bedeutung des Wortes wurde aus der einfachen Beobachtung abgeleitet, daß ein Baum sich zwar im Wind biegen kann, dann aber zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückkehrt. Übertragen auf menschliches Verhalten sollte dieses die Dehnfähigkeit haben, sich wechselnden Verhältnissen anpassen zu können, ohne allerdings von ihnen gebrochen zu werden.

Heute hat sich die Bedeutung des Wortes grundlegend geändert. Hinter dem modernen Gebrauch von Flexibilität verbirgt sich ein dreifaches Machtsystem:

Diskontinuierlicher Umbau von Institutionen
Gemeint ist die Bereitschaft zu einer Veränderung ganz besonderer Art: Bürokratische Routinen werden attackiert, um Institutionen entscheidend und unwiderruflich zu verändern, so dass keine Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit mehr besteht. Lockere Netzwerke werden als offener für grundlegende Veränderungen gehalten als hierarchische Pyramiden-Organisationen. Neuer Modebegriff ist das Reengineering mit der hervorragendsten Begleiterscheinung, der personaleinsparenden Rationalisierung (vgl. Hammer, Champy).
Diese Strategie wird ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt - Die meisten Reengineering-Projekte scheitern, v.a. weil Institutionen während des Personalabbaus in Funktionsstörungen geraten:
- Erprobte Geschäftsstrategien werden ausgemustert.
- Erwartete Vorteile sind nur minimal.
- Das Unternehmen verliert Energie und kommt vom Kurs ab.
- Die Mitarbeiter sind demotiviert und desorientiert.
Flexible Spezialisierung der Produktion
Die Volatilität der Märkte, v.a. die Unbeständigkeit der Nachfrage erfordert es, eine breite Palette von Produkten oder Dienstleistungen schneller auf den Markt zu bringen. Unterschiedliche Modelle: das Rhein-Modell und das anglo-amerikanische Modell geben verschiedene Antworten auf die Frage, wie der Staat den Menschen noch so etwas wie Dehnfestigkeit des Baumes geben kann, ohne dass sie unter dem Druck des ständigen Veränderungszwanges zerbrechen.
Konzentration der Macht ohne Zentralisierung
Es wird immer behauptet, dass die neuen flexiblen Organisationen der Arbeit Macht dezentralisieren, d.h. den Menschen auf niedrigeren Ebenen in den Unternehmen mehr Kontrolle über ihr Handeln geben würden. Ein regelmäßiges Merkmal solcher Unternehmensumbauten ist allerdings die chronische Überlastung kleiner Arbeitsgruppen durch viele unterschiedliche Aufgaben. Dieser Tatbestand erfordert eine immense Macht zur Steuerung der Abläufe. Die Inseln der Arbeit liegen vor dem Festland der Macht (Bennet Harrison: Lean is Mean, The Changing Landscape of Corporate Power in an Age of Flexibility, New York 1994). Kontrolle wird durch Produktions- oder Gewinnvorgaben für eine breite Spanne von Gruppen ausgeübt. Jede Einheit kann innerhalb dieser Vorgaben über deren Verwirklichung frei entscheiden. Dies ist jedoch nur eine vorgegaukelte Freiheit. Gewöhnlich stehen die Einheiten unter dem Druck, weit mehr zu leisten als in ihrer Macht steht.

Die organisierte Macht ist in modernen Organisationen zugleich effizient und formlos. In regellosen Institutionen werden diejenigen, die in der Lage sind, alles zu nehmen, dies auch tun. Die Flexibilität verstärkt die Ungleichheit. Die angemessene Organisationsform ist die Teamarbeit.

Flexible Organisationen operieren mit variablen Zeitplänen - Flexible Arbeitszeit. Damit verbunden sind neue Formen der Kontrolle. Nur wenige Organisationen mit flexibler Arbeitszeit räumen ihren Beschäftigten wirkliche Zeitautonomie ein und sagen ihnen wie beim klassischen Tagewerk: "Hier ist eine Aufgabe, solange ihr sie erfüllt, könnt ihr machen was ihr wollt". Gerade bei der Teleheimarbeit zeigt sich, dass die vom Betrieb abwesenden Arbeitskräfte oft intensiver überwacht werden als die anwesenden. Diese Überwachung erfolgt elektronisch: die "metrische Logik" (Daniel Bell) ist von der Stechuhr auf den Computerbildschirm gewandert.

Zeit light bedeutet Zeit ohne Autorität. Dem Management gelingt es dadurch, Macht auszuüben, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen.

"Das Fehlen von Autorität gibt den Oberen die Freiheit umzuschichten, anzupassen oder zu reorganisieren, ohne ihr Handeln zu rechtfertigen" (S. 154).

Das neue kooperative Ethos der Teamarbeit setzt an die Stelle der alten Herren jene "Moderatoren" und "Process-Manager", die der ehrlichen Auseinandersetzung mit ihren Dienern aus dem Weg gehen.

Ein weiteres Merkmal der flexiblen Arbeit ist fehlende langfristige Bindung. Beispiel Software: Produkte folgen rasend schnell auf dem Markt (und verschwinden genauso schnell), Umorganisierungen erfolgen oft bereits, bevor die Wirkungen der letzten Aktionen evaluiert sind. Die Folgen wachsender Fragmentierung der Arbeitssysteme werden in Kauf genommen.