Bundesverfassungsgericht: Scannen von Nummernschildern verfassungswidrig


Leitsätze des Urteils vom 11.3.2008

  1. Eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen zwecks Abgleichs mit dem Fahndungsbestand greift dann, wenn der Abgleich nicht unverzüglich erfolgt und das Kennzeichen nicht ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird, in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein.
  2. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage richten sich nach dem Gewicht der Beeinträchtigung, das insbesondere von der Art der erfassten Informationen, dem Anlass und den Umständen ihrer Erhebung, dem betroffenen Personenkreis und der Art der Verwertung der Daten beeinflusst wird.
  3. Die bloße Benennung des Zwecks, das Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem gesetzlich nicht näher definierten Fahndungsbestand abzugleichen, genügt den Anforderungen an die Normenbestimmtheit nicht.
  4. Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Einrichtung der Kennzeichenerfassung geben. Die stichprobenhafte Durchführung einer solchen Maßnahme kann gegebenenfalls zu Eingriffen von lediglich geringerer Intensität zulässig sein.

Karlsruhe, 11. März 2008: Keine vierzehn Tage nach dem Urteil über das Computer-Grundrecht erklärt das Bundesverfassungsgericht nun Gesetze aus Hessen und Schleswig-Holstein über die automatische Erfassung von Auto-Kennzeichen für verfassungswidrig.

Die in den beiden Bundesländern praktizierte automatische Erfassung von Autokennzeichen durch die Polizei verstößt gegen das Grundgesetz, speziell das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, entschied das Bundesverfassungsgericht.

Nach Ansicht des Gerichts sind die Vorschriften in den nun für nichtig erklärten Polizeigesetzen zu unbestimmt, denn sie nennen weder den Anlass noch den Ermittlungszweck des beabsichtigten Datenabgleichs.

Weiter sieht das Gericht einen Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit, weil die Regelungen eine Datenerfassung auch ohne konkreten Anlass erlaubt hätten. Solch ein Grundrechtseingriff "ins Blaue hinein" ist von der Verfassung verboten, erklärte Bundesverfassungsgerichtspräsident Papier. Ansonsten könne "ein Gefühl des Überwachtwerdens" entstehen, das zu "allgemeinen Einschüchterungseffekten" der Bevölkerung führen könne.

Fazit: Mehr Respekt vor den Grundrechten. Strengere Anforderungen an das Verhältnismäßigkeitsgebot, wenn in Grundrechte eingegriffen werden soll.

Mit Spannung warten wir auf die Entscheidung über das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.