Kurzfassung
Wahrnehmung und Bewusstsein sind eine Interaktion zwischen Organismus und Umwelt. Betrachtet man die Pflanzen, so fällt es schwer, ihnen Formen von Bewusstsein abzusprechen. Die Theorie, das Bewusstsein an das Gehirn gebunden ist, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Bewusstsein stellt sich als dynamische, fließende und kontinuierliche Beziehung zwischen einem Subjekt und seiner Umwelt dar. Diese Erkenntnis dürfte die Hoffnung der KI-Ingenieure, eine Maschine mit Bewusstsein zu bauen, gehörig dämpfen.
Summary
Perception and consciousness are an interaction between an organism and its environment. When we look at plants, it is difficult to deny that they have some form of consciousness. The theory that consciousness is tied to the brain cannot be upheld. Consciousness is a dynamic, fluid and continuous relationship between a subject and its environment. This realisation is likely to dampen the hopes of AI engineers to build a machine with consciousness.
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Das Bewusstsein der Pflanzen
Paco Calvo ist Professor für Kognitionswissenschaft an der Universität Murcia in Spanien, wo er das Minimal Intelligence Lab (MINT Lab) leitet, das sich auf die Erforschung minimaler Kognition bei Pflanzen konzentriert hat. Er hat Erstaunliches über Wahrnehmung, Empfinden und - ja auch das Bewusstsein der Pflanzen herausgefunden. Eine Einladung, verbreitete Vorstellungen über unser menschliches Bewusstsein und die Blütenträume der KI-Ingenieure in Frage zu stellen.
Gehirn und Bewusstsein
Dem Philosophen Descartes verdanken wir den Geist-Körper-Dualismus (res cogitans - res extensa): Man kann nur durch die Ideen, die man in sich hat, wissen was außerhalb von uns liegt. Doch unter der Hand scheint dieser mind-boby-Dualismus zu einem brain-body-Dualismus mutiert zu sein. Viele Bewusstseinstheorien sind sich darin einig, dass ohne Gehirn nichts geht. Die rund 100 Milliarden Neurone der Großhirnrinde sollen es richten. Doch braucht es wirklich Neurone für ein Bewusstsein?
Was Pflanzen alles so können
Prof. Calvo vertritt die Auffassung, dass Pflanzen wahrnehmen, „denken“, sich etwas vorstellen und lernen können. Schaut man sich ihr „Leistungsspektrum“ an, so kommt man nicht um interessante Feststellungen herum, hier nur eine bescheidene Auswahl:
- Pflanzen können ihre Umgebung wahrnehmen,
- sie reagieren aktiv auf Schwerkraft,
- auf Berührungen,
- ebenso auf Wind, Feuchtigkeit, Veränderungen bei ihren Nahrungsquellen, Temperatur,
- auf „Wettbewerb“ in ihrer Umgebung (Artgenossen, die ihnen ihren Lebensraum streitig machen wollen),
- und genau so auf Feinde, z.B. Raupen, die ihre Blätter anfressen,
- einige sogar auf Magnetfelder.
Sie haben also ein breites Wahrnehmungsfeld. Sie können unterscheiden zwischen sich selbst und anderem. Ihr Verhalten ist keineswegs bloß reaktiv, sondern auch ausgeprägt antizipativ, wenn sie z.B. ihre Blätter nach der Sonne richten, bevor diese aufgeht. Sie arbeiten mit Vorhersagen auf der Grundlage ihrer Erfahrungen, richten z.B. ihre Pollenproduktion danach aus, wann Bestäuber am wahrscheinlichsten auftauchen. Sie zeigen Reaktionen auf Verletzungen, die darauf schließen lassen, dass sie Schmerzen empfinden können. Ihr Verhalten kann man nicht als auf Reflexe reduziert betrachten, sie haben sich in ihrer Evolutionsgeschichte genauso wie wir Menschen mit ihrer Umgebung auseinandergesetzt. Kurzum, ganz ohne Neurone sind sie adaptiv, empfindend, aufmerksam, aber auch bewusst?
Das alles geschieht ohne Neurone und deren Vernetzung in einer Art Hirngewebe, mit ganz anderen Mitteln. Elektrische Signale können auch entlang des Gefäßsystems übertragen werden, einem Transportnetz, das aus zwei Arten von Gefäßen besteht,
dem Xylem, das Wasser und gelöste Mineralstoffe durch die Pflanze nach oben transportiert, angetrieben durch Verdunstung und Kapillarkräfte, und
- dem Phloem, das gelöste Stoffe aus der Photosynthese wie Zucker und andere organische Stoffe dorthin transportiert, wo sie gebraucht werden.
So wie die Nerven Leitungen ähneln, die elektrische Signale leiten können, ist das Gefäßsystem wie ein grünes Kabel, das Nachrichten in Form von elektrischen Signalen durch die Pflanze befördert, um die verschiedenen Funktionen der Pflanze zu steuern und zu koordinieren. Leben mit allen seinen Funktionen wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Erkenntnis und Bewusstsein benötigt also nicht unbedingt Neurone, Nerven und ein alles zentral steuerndes Gehirn.
Die oben geschilderten Leistungen der Pflanzen hat Paco Calvo in zahlreichen Experimenten nachgewiesen, alles ausführlich in seinem Buch Planta Sapiens - Unmasking Plant Intelligence beschrieben.
Kritiker der Vorstellung, dass Pflanzen über ein Bewusstsein verfügen, halten dagegen, dass Bewusstsein ein mentales Bild oder eine mentale Repräsentation der wahrgenommenen Welt benötigt, was hirnlose Pflanzen ihrer Meinung nach nicht könnten. Der Körper sei notwendig, um zu atmen, zu essen und am Leben zu bleiben, aber allein das Gehirn in seinem dunklen, stillen Schädel könne wahrnehmen, fühlen und denken, so die immer noch herrschende Meinung.
Die 4E-Theorie
Calvo und zunehmend viele andere Wissenschaftler wie Psychologie-Prof. Louise Barrett (University of Lethbridge, Canada) halten mit einer 4E cognitive science dagegen - die vier E gehen leider nur auf englisch: embodied, embedded, extended und enactive, sinngemäß auf deutsch: Wahrnehmung und Erkenntnis als verkörperter, eingebetteter, erweiterter und aktivierter Prozess. Ohne jetzt auf die vier E im einzelnen einzugehen, kann man sagen, dass dahinter die Auffassung steckt, dass Wahrnehmung einen Prozess darstellt, der in einer dynamischen, fließenden und kontinuierlichen Beziehung zwischen einem Subjekt und seiner Umwelt stattfindet - ohne Trennung von Geist und Körper, ohne Begrenzung des Geistes auf ein Gehirn.
Schauen wir auf unser eigenes Leben: Unsere Augen sind immer in Bewegung und springen so schnell hin und her, dass wir es gar nicht bemerken. Sehen bedeutet nicht, dass man sich ein Bild von der Welt im Kopf macht. Es ist nicht das Gehirn, das sieht, sondern der ganze belebte Körper. Das Ergebnis des „Sehens“ ist niemals ein endgültiges Bild, über das ein innerer Verstand in seinem geheimen Versteck nachdenkt, sondern eine anpassungsfähige, kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Welt. Alva Noë, Philosophieprofessor an der University of California, Berkeley, bringt es wie folgt auf den Begriff:
"Cognition created by interaction, the need to stay alive."
Erkenntnis entsteht durch Interaktion, durch das Bedürfnis, am Leben zu bleiben.
Bewusstsein ist nicht etwas, das bloß in uns stattfindet, sondern etwas, das wir tun. Evan Thompson, Philosophie-Professor an der University of Britisch Columbia, Vancouver, hat ein schönes Beispiel: „Ein Vogel brauch Flügel zum Fliegen. Aber das Fliegen ist nicht in den Flügeln“. Wenn man dem Bewusstsein unbedingt einen Ort zuweisen will, dann bleibt nur, den ganzen Organismus als Ort des Bewusstseins zu begreifen. Aber auch diese Sichtweise könnte sich als zu eng erweisen.
Auf der Suche nach dem Bewusstsein hat sich die traditionelle Bewusstseinsforschung darauf kapriziert, den Ort des Bewusstseins in uns, speziell bei uns Menschen in unserem Gehirn zu suchen, z. B. in sog. neuronalen Korrelaten. Wenn man diese anthropozentrische Sicht einmal verlässt und zur Kenntnis nimmt, dass aktives Leben immer in der Auseinandersetzung mit seiner Umgebung stattfindet, so kann man sich einem Standpunkt nähern, dass Bewusstsein keinen Ort hat, sondern in der Dynamik dieser Interaktion eines individuellen Wesens mit seiner Umgebung zu suchen ist, in der Energie, die diese Dynamik aufrecht erhält. Vielleicht müssen wir uns damit auseinandersetzen, Pflanzen in diese Überlegung mit einzubeziehen, meint Paco Calvo.
Wenn Erkenntnis eine Leistung des Bewusstseins ist, so gehört es zu dessen Hauptaufgabe, uns am Leben zu halten. Das haben wir mit den Pflanzen gemein.
Das Gehirn muss erst ins Spiel kommen, wenn es sich um vielzellige, mobile Organismen handelt - vor allem um Verbindungen zwischen sensorischen und motorischen Systemen herzustellen, damit der Organismus als einzigartiges Ganzes agieren und sich so durch seine Umwelt bewegen kann, dass er am Leben bleibt.
Schlussfolgerung für die Künstliche Intelligenz
Die Konstrukteure unserer Spitzenprodukte der Künstlichen Intelligenz haben in ihrer anthropozentrischen Sicht ihre Anleihen beim menschlichen Gehirn gemacht, bei seinen Neuronen und deren Vernetzung durch die Synapsen. Sie gehen weiter von einem sehr statischen Bild aus, wobei ein von außen in das Gehirn einströmender Fluss von Input-Signalen verarbeitet wird und dabei keine Wechselwirkung mehr mit der Außenwelt stattfindet.
Die Natur arbeitet ganz anders und legt nahe, einen Zusammenhang zwischen Leben und Bewusstsein zu vermuten, Leben als Voraussetzung für Bewusstsein, Lebewesen immer in Interaktion mit ihrer Umgebung. Da Interaktion aktives Handeln umfasst, befinden sich beide Seiten in einem permanenten Veränderungsprozess. Den „stillen Beobachter“, der ohne Einwirkung auf seine beobachtete Umwelt Wahrnehmungen tätigt, gibt es nicht.
Das dürfte die Träume von einer Superintelligenz, die auf allen Gebieten menschliche Fähigkeiten übertreffen, autonom wahrnehmen und selbständig entscheiden kann, gehörig dämpfen. Auch die Hoffnung, dass sich beim Bau genügend komplexer Systeme Bewusstsein sozusagen von selber einstellt, dürfte ins Reich der unerfüllbaren Phantasien verbannt bleiben. Auch panpsychistische Theorien versprechen keinen Quantensprung für bessere Aussichten.
Kritisch zu beobachten bleibt allerdings das Arbeiten mit Transorganismen, dem Einbau lebender Zellen in künstliche Neuronale Netze.
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The consciousness of plants
Paco Calvo is Professor of Cognitive Science at the University of Murcia in Spain, where he heads the Minimal Intelligence Lab (MINT Lab), which focuses on research into minimal cognition in plants. He has discovered astonishing things about perception, sensation and - yes - consciousness in plants. An invitation to question widespread ideas about our human consciousness and the flowering dreams of AI engineers.
Brain and consciousness
We have the philosopher Descartes to thank for the mind-body dualism (res cogitans - res extensa): One can only know what lies outside oneself through the ideas one has within oneself. However, this mind-body dualism seems to have mutated into a brain-body dualism. Many theories of consciousness agree that nothing works without the brain. The 100 billion or so neurons in the cerebral cortex are supposed to do the trick. But do we really need neurons for consciousness?
What plants can do
Prof. Calvo is of the opinion that plants can perceive, "think", imagine and learn. If you take a look at their "performance spectrum", you cannot avoid making interesting observations, here is just a modest selection:
- Plants can perceive their surroundings,
- they react actively to gravity,
- to touch,
- as well as wind, humidity, changes in their food sources and temperature,
- to "competition" in their environment (conspecifics who want to dispute their habitat),
- and also to enemies, e.g. caterpillars, which eat their leaves,
- Some even respond to magnetic fields.
They therefore have a broad field of perception. They can distinguish between themselves and others. Their behavior is by no means merely reactive, but also distinctly anticipatory, for example when they direct their leaves towards the sun before it rises. They work with predictions based on their experiences, e.g. directing their pollen production according to when pollinators are most likely to appear. They show reactions to injury that suggest they can feel pain. Their behavior cannot be seen as reduced to reflexes, they have dealt with their environment in their evolutionary history just as we humans have. In short, without any neurons, they are adaptive, sentient, attentive, but also conscious?
All this happens without neurons and their networking in a kind of brain tissue, by completely different means. Electrical signals can also be transmitted along the vascular system, a transport network consisting of two types of vessels,
the xylem, which transports water and dissolved minerals upwards through the plant, driven by evaporation and capillary forces, and
- the phloem, which transports dissolved substances from photosynthesis such as sugar and other organic substances to where they are needed.
Just as nerves are like wires that can conduct electrical signals, the vascular system is like a green cable that carries messages in the form of electrical signals through the plant to control and coordinate the various functions of the plant. Life, with all its functions such as attention, perception, cognition and consciousness, therefore does not necessarily require neurons, nerves and a brain that controls everything centrally.
Paco Calvo has demonstrated the above-mentioned achievements of plants in numerous experiments, all described in detail in his book Planta Sapiens - Unmasking Plant Intelligence.
Critics of the idea that plants have a consciousness argue that consciousness requires a mental image or mental representation of the perceived world, which, in their opinion, brainless plants cannot do. The body is necessary to breathe, eat and stay alive, but only the brain in its dark, silent skull can perceive, feel and think, according to the still prevailing opinion.
The 4E theory
Calvo and an increasing number of other scientists such as psychology professor Louise Barrett (University of Lethbridge, Canada) counter this with a 4E cognitive science - the four E's are unfortunately only available in English: embodied, embedded, extended and enactive, meaning: perception and cognition as an embodied, embedded, extended and activated process. Without going into the four E's in detail, it can be said that the underlying concept is that perception is a process that takes place in a dynamic, fluid and continuous relationship between a subject and their environment - without separating mind and body, without limiting the mind to a brain.
Let's look at our own lives: Our eyes are always on the move, jumping back and forth so quickly that we don't even notice. Seeing does not mean forming a picture of the world in your head. It is not the brain that sees, but the entire living body. The result of "seeing" is never a final image pondered by an inner mind in its secret hiding place, but an adaptive, continuous engagement with the world. Alva Noë, professor of philosophy at the University of California, Berkeley, sums it up as follows:
"Cognition created by interaction, the need to stay alive."
Consciousness is not something that merely takes place within us, but something that we do. Evan Thompson, professor of philosophy at the University of British Columbia, Vancouver, has a nice example: "A bird needs wings to fly. But flying is not in the wings". If you absolutely want to assign a place to consciousness, then the only option is to understand the whole organism as a place of consciousness. But even this view could prove to be too narrow.
In the search for consciousness, traditional consciousness research has focused on finding the location of consciousness in us, especially in us humans in our brains, e.g. in so-called neuronal correlates. If we abandon this anthropocentric view and recognize that active life always takes place in interaction with its environment, we can come closer to the viewpoint that consciousness has no place, but is to be found in the dynamics of this interaction of an individual being with its environment, in the energy that sustains this dynamic. Perhaps we need to look at including plants in this consideration, says Paco Calvo.
If cognition is an achievement of consciousness, then one of its main tasks is to keep us alive. We have this in common with plants.
The brain must first come into play when dealing with multicellular, mobile organisms - primarily to establish connections between sensory and motor systems so that the organism can act as a unique whole and move through its environment in a way that keeps it alive.
Conclusion for artificial intelligence
In their anthropocentric view, the designers of our cutting-edge artificial intelligence products have borrowed from the human brain, its neurons and their networking through synapses. They continue to assume a very static image, whereby a flow of input signals entering the brain from outside is processed without any interaction with the outside world.
Nature works quite differently and suggests a connection between life and consciousness, life as a prerequisite for consciousness, living beings always interacting with their environment. Since interaction involves active action, both sides are in a permanent process of change. The "silent observer", who makes perceptions without influencing his observed environment, does not exist.
This is likely to dampen dreams of a superintelligence that can surpass human abilities in all areas, perceive autonomously and make decisions independently. The hope that consciousness will emerge on its own, so to speak, when sufficiently complex systems are built is also likely to be relegated to the realm of unrealizable fantasies. Even panpsychistic theories do not promise a quantum leap for better prospects.
However, working with transorganisms, the incorporation of living cells into artificial neural networks, remains a critical issue.
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